Benutzer-Werkzeuge

Webseiten-Werkzeuge


text:tirana_23

Unterschiede

Hier werden die Unterschiede zwischen zwei Versionen angezeigt.

Link zu dieser Vergleichsansicht

Beide Seiten der vorigen Revision Vorhergehende Überarbeitung
Nächste Überarbeitung
Vorhergehende Überarbeitung
text:tirana_23 [2024/06/13 20:02]
admin [Die Vjosa-Kampagne]
text:tirana_23 [2024/06/13 20:05]
admin [Ein Ausblick: die Vjosa]
Zeile 177: Zeile 177:
 //22. September, Tirana (Innospace)// //22. September, Tirana (Innospace)//
  
-Besar Likmeta von BIRN Albania, einer NGO die sich auf investigative Berichterstattung und Medienbeobachtung spezialisiert hat, breitet zum Abschluss ein düsteres Bild der Realitäten in Albanien vor uns aus.+Besar Likmeta von BIRN Albania, einer NGOdie sich auf investigative Berichterstattung und Medienbeobachtung spezialisiert hat, breitet zum Abschluss ein düsteres Bild der Realitäten in Albanien vor uns aus.
  
 Zwar gäbe es Gesetze zum Schutz der Pressefreiheit, doch würden sie nicht beachtet. Journalist*innen, die zum Problem werden, verlören ihren Job und eventuell ihre Familien den ihren gleich mit. Wirksame Hilfe bekämen sie keine, von keiner Seite, auch nicht den Kolleg*innen oder der Zivilgesellschaft.  Zwar gäbe es Gesetze zum Schutz der Pressefreiheit, doch würden sie nicht beachtet. Journalist*innen, die zum Problem werden, verlören ihren Job und eventuell ihre Familien den ihren gleich mit. Wirksame Hilfe bekämen sie keine, von keiner Seite, auch nicht den Kolleg*innen oder der Zivilgesellschaft. 
  
-Die scheinbar vielfältigen Medien seien in Wirklichkeit bei zwei Oligarchen-Familien monopolisiert. Berichtet wird das, was Geld bringt oder die Interessen der Oligarchen anders unterstützt. Die boomenden Online-Medien seien da, wo sie Bedeutung haben, noch schlimmer. Vielleicht kontrolliere Meta (Facebook und Instagram) in Dublin manche Netzeinträge auf Falschmeldungen und Hatespeach aber kaum jemand dort spräche Albanisch. Selbst wenn etwas Albanisches gelöscht würde, dauere das viel zu lange. Inhalte aus Trollfabriken dominierten deshalb ungehindert die sozialen Medien in Albanien. +Die scheinbar vielfältigen Medien seien in Wirklichkeit bei zwei Oligarchen-Familien monopolisiert. Berichtet wird das, was Geld bringt oder die Interessen der Oligarchen anders unterstützt. Die boomenden Online-Medien seien da, wo sie Bedeutung haben, noch schlimmer. Vielleicht kontrolliere Meta (Facebook und Instagram) in Dublin manche Netzeinträge auf Falschmeldungen und Hatespeach – aber kaum jemand dort spräche Albanisch. Selbst wenn etwas Albanisches gelöscht würde, dauere das viel zu lange. Inhalte aus Trollfabriken dominierten deshalb ungehindert die sozialen Medien in Albanien. 
  
 Die Öffentlichkeit sei keine freien Medien gewöhnt, im Kommunismus waren die Medien ein reines Propaganda-Instrument. Das seien sie auch heute noch, aber aus Unerfahrenheit bemerkten das nur wenige. Zum Beispiel, dass es zu heiklen Themen keine journalistischen Berichte gäbe, sondern nur über alle Plattformen hinweg gleich-lautende PR-Produkte.  Die Öffentlichkeit sei keine freien Medien gewöhnt, im Kommunismus waren die Medien ein reines Propaganda-Instrument. Das seien sie auch heute noch, aber aus Unerfahrenheit bemerkten das nur wenige. Zum Beispiel, dass es zu heiklen Themen keine journalistischen Berichte gäbe, sondern nur über alle Plattformen hinweg gleich-lautende PR-Produkte. 
  
-Der Premierminister Rama hat auf einer Pressekonferenz einem Journalisten die Umerziehung angedroht, aber das sei in Albanien kein Skandal, nur ausserhalb. Wenn überhaupt, denn ausländischen Medien interessierten sich nicht für Albanien, weswegen sie auch kein Gegengewicht bilden könnten. +Der Premierminister Rama hat auf einer Pressekonferenz einem Journalisten die Umerziehung angedroht, aber das sei in Albanien kein Skandal, nur außerhalb. Wenn überhaupt, denn ausländische Medien interessierten sich nicht für Albanien, weswegen sie auch kein Gegengewicht bilden könnten. 
  
-Zwar schrieben die EU-Delegationen Berichte über den Angleichungsprozess der albanischen Gesetzgebung an EU-Normen, aber sie berichteten nicht über die Umsetzung dieser Gesetze. Immerhin: als die Regierung versucht hatte, „ethische“ Richtlinien für den Journalismus (wie in Polen oder Ungarn) zu erlassen, sei das über die Anrufung der Venedig-Kommission des Europarates verhindert worden. +Zwar schrieben die EU-Delegationen Berichte über den Angleichungsprozess der albanischen Gesetzgebung an EU-Normen, aber sie berichteten nicht über die Umsetzung dieser Gesetze. Immerhin: Als die Regierung versucht hatte, „ethische“ Richtlinien für den Journalismus (wie in Polen oder Ungarn) zu erlassen, sei das über die Anrufung der Venedig-Kommission des Europarates verhindert worden. 
  
-Aber das Argument, dass durch die Justizreform den Gesetzen vielleicht zukünftig mehr Geltung verschafft werden würde, lässt der Journalist nicht gelten. Man habe bis vor einigen Jahren geglaubt, dass Albanien gute Journalisten hätte, aber schlechte Strukturen. Man wähnte sich in einer Übergangszeit vom totalitären Staat hin zur Demokratie. Aber heute sei klar, dass die Krebszellen überall sitzen und ausstreuten. Man könne den Patienten nicht an einer Stelle heilen und hoffen, die anderen würden dann später gesunden. Die Gesellschaft befände sich in einem Übergang, aber nicht zur Demokratie, sondern zur Oligarchie. Auch wenn die europäischen Staaten und Regierungen versuchen würden, das anders zu verkaufen. +Aber das Argument, dass durch die Justizreform den Gesetzen vielleicht zukünftig mehr Geltung verschafft werden würde, lässt der Journalist nicht gelten. Man habe bis vor einigen Jahren geglaubt, dass Albanien gute Journalist*innen hätte, aber schlechte Strukturen. Man wähnte sich in einer Übergangszeit vom totalitären Staat hin zur Demokratie. Aber heute sei klar, dass die Krebszellen überall sitzen und ausstreuten. Man könne den Patienten nicht an einer Stelle heilen und hoffen, die anderen würden dann später gesunden. Die Gesellschaft befände sich in einem Übergang, aber nicht zur Demokratie, sondern zur Oligarchie. Auch wenn die europäischen Staaten und Regierungen versuchen würden, das anders zu verkaufen. 
  
 „Ob es denn nicht doch noch irgendwo die Möglichkeit von Lichtblicken gäbe?“ versuchen wir es aus der Reisegruppe heraus mit einigen Fragen. Seine Antwort ist jeweils kurz: „Nein“. „Ob es denn nicht doch noch irgendwo die Möglichkeit von Lichtblicken gäbe?“ versuchen wir es aus der Reisegruppe heraus mit einigen Fragen. Seine Antwort ist jeweils kurz: „Nein“.
Zeile 203: Zeile 203:
 Es gibt in Tirana sehr viele Cafés, überhaupt ist die Lebensart und Freundlichkeit der Menschen hier so, dass ich mich sofort wohl und eingeladen fühle. Doris und ich haben noch etwas Zeit, bevor wir zum Flughafen müssen, in einem Café machen wir eine Zufallsbekanntschaft. Es gibt in Tirana sehr viele Cafés, überhaupt ist die Lebensart und Freundlichkeit der Menschen hier so, dass ich mich sofort wohl und eingeladen fühle. Doris und ich haben noch etwas Zeit, bevor wir zum Flughafen müssen, in einem Café machen wir eine Zufallsbekanntschaft.
    
-Die Frau ist und bleibt Zivilgesellschaft, erklärt sie. Seit ihre Kinder klein waren hat die Frau sie zu jeder Demo mitgenommen, auch wenn es nie etwas genutzt hat. Ja, den Erfolg der Vjosa-Kampagne findet sie auch toll, aber in den 30 Jahren seit dem Ende der Diktatur ist viel zu wenig passiert. Albanien sei ein Land, das alles habe! Sie zählt eine lange Liste auf mit Rohstoffen, Sonne, Landschaft, Geschichte, wunderbaren Menschen. Albanien müsste reich und unabhängig sein wie die Schweiz! Aber stattdessen sei nach dem Kommunismus alles zerstört und nichts wieder neu aufgebaut worden. Keine Industrie (die es mal gab), das selbe mit der Landwirtschaft. Es würden nur überall im Land riesige Gebäude gebaut, die kein Mensch brauche. Geldwäsche sei das alles, nichts konstruktives.+Die Frau erklärt uns, sie sehe sich schon immer als Teil der aktiven albanischen Zivilgesellschaft, und das würde auch so bleibenAuch ihre Kinder: Von klein auf wurden sie zu jeder Demo mitgenommen, auch wenn es nie etwas genutzt hat. Ja, den Erfolg der Vjosa-Kampagne findet sie auch toll, aber in den 30 Jahren seit dem Ende der Diktatur ist viel zu wenig passiert. Albanien sei ein Land, das alles habe! Sie zählt eine lange Liste auf mit Rohstoffen, Sonne, Landschaft, Geschichte, wunderbaren Menschen. Albanien müsste reich und unabhängig sein wie die Schweiz! Aber stattdessen sei nach dem Kommunismus alles zerstört und nichts wieder neu aufgebaut worden. Keine Industrie (die es mal gab), das selbe mit der Landwirtschaft. Es würden nur überall im Land riesige Gebäude gebaut, die kein Mensch brauche. Geldwäsche sei das alles, nichts Konstruktives.
  
 {{ :logbuch:tirana:2023_albanien_59.jpg?400 |}} {{ :logbuch:tirana:2023_albanien_59.jpg?400 |}}
Zeile 209: Zeile 209:
 //23. September, auf der Rückreise// //23. September, auf der Rückreise//
  
-Den Pessimismus von Fatos Lubonja habe ich noch wiederholt gesehen bei anderen Menschen auf dieser Reise in Albanien. Das Vertrauen in die öffentlichen Institutionen ist aufgebraucht oder war noch nie vorhanden. Die Erwartungen an die Demokratie sind gering, für Fatos sind sie, so glaube ich, nur noch nostalgische Floskeln. Bloße Feigenblätter in einer globalen gesellschaftlichen Realität, die die „Demokratie“ schön längst hinter sich gelassen hat. Eine Hoffnungslosigkeit hat sich breit gemacht in Albanien. Eine Hoffnungslosigkeit, die aber nicht niedergeschlagen ist. Ein heiterer Fatalismus, der dem Westen keine Vorwürfe macht, denn: „Die reichen Leute im Westen sind eigentlich auch nicht besser dran, sie wissen es bloß noch nicht“.+Den Pessimismus von Fatos Lubonja habe ich noch wiederholt gesehen bei anderen Menschen auf dieser Reise in Albanien. Das Vertrauen in die öffentlichen Institutionen ist aufgebraucht oder war noch nie vorhanden. Die Erwartungen an die Demokratie sind gering, für Fatos sind sie, so glaube ich, nur noch nostalgische Floskeln. Bloße Feigenblätter in einer globalen gesellschaftlichen Realität, die die „Demokratie“ schon längst hinter sich gelassen hat. Eine Hoffnungslosigkeit hat sich breit gemacht in Albanien. Eine Hoffnungslosigkeit, die aber nicht niedergeschlagen ist. Ein heiterer Fatalismus, der dem Westen keine Vorwürfe macht, denn: „Die reichen Leute im Westen sind eigentlich auch nicht besser dran, sie wissen es bloß noch nicht“.
  
 Rückkehrend zu meiner Ausgangsfrage überlege ich, in welchem Verhältnis ich meine Vorstellung des Westens nun zu Albanien sehe: Rückkehrend zu meiner Ausgangsfrage überlege ich, in welchem Verhältnis ich meine Vorstellung des Westens nun zu Albanien sehe:
  
-Es gibt hier ein Verlangen nach der westlichen Subsidiaritäts-Gesellschaft, dem Ideal einer Herrschaft von unten und eine Bereitschaft dafür. Weit um sich gegriffen hat es, die Hoffnung darauf aufzugeben. Weit, aber nicht nach überall hin. Ich möchte gemeinsam mit einigen Menschen in Albanien an einen möglichen langfristigen Erfolg der Justizreform glauben. Ich möchte glauben, dass die Rezeptur der Vjosa-Kampagne sich auf andere Projekte der Zivilgesellschaft übertragen lässt. Bei meinem Besuch in Brüssel dieses Jahr glaube ich gesehen zu haben, dass die EU einen Willen und eine Kraft hat. Eine Kraft, auf die Albanien sich verlassen und an der es sich ausrichten kann. Auch wenn ich jetzt besser verstehe, wie dieses Vertrauen die menschliche Geduld vor eine überharte Probe stellt. Ich finde, wir, die wir den Westen haben wie einen selbstverständlichen Besitz, sollten uns bewegen. Wir sollten auf die Menschen im Osten des Westen zugehen und uns für sie interessieren. Wir können ihnen dadurch Hoffnung geben, und wir können vielleicht verhindern, dass es wahr wird, was viele hier glauben: dass wir selbst den Westen schon lange verloren haben und er nur noch eine träge Illusion ist. +Es gibt hier ein Verlangen nach der westlichen Subsidiaritäts-Gesellschaft, dem Ideal einer Herrschaft von unten – und eine Bereitschaft dafür. Die Hoffnung darauf aufzugeben, hat weit um sich gegriffen. Weit, aber nicht nach überall hin. Ich möchte gemeinsam mit einigen Menschen in Albanien an einen möglichen langfristigen Erfolg der Justizreform glauben. Ich möchte glauben, dass die Rezeptur der Vjosa-Kampagne sich auf andere Projekte der Zivilgesellschaft übertragen lässt. Bei meinem Besuch in Brüssel dieses Jahr glaube ich gesehen zu haben, dass die EU einen Willen und eine Kraft hat. Eine Kraft, auf die Albanien sich verlassen und an der es sich ausrichten kann. Auch wenn ich jetzt besser verstehe, wie dieses Vertrauen die menschliche Geduld vor eine überharte Probe stellt. Ich finde, wir, die wir den Westen haben wie einen selbstverständlichen Besitz, sollten uns bewegen. Wir sollten auf die Menschen im Osten des Westen zugehen und uns für sie interessieren. Wir können ihnen dadurch Hoffnung geben, und wir können vielleicht verhindern, dass es wahr wird, was viele hier glauben: dass wir selbst den Westen schon lange verloren haben und er nur noch eine träge Illusion ist. 
  
 ===== Ein Ausblick: die Vjosa ===== ===== Ein Ausblick: die Vjosa =====
 //25. September, Mainz// //25. September, Mainz//
  
-In vielen Windungen schlängelt sich der Fluss durch Albaniens neu entstehenden Nationalpark. 70 Fischarten sind und bleiben hier heimisch, das sind 30% von denen, die es überhaupt gibt in Europas Süßgewässern. 70% Prozent sogar sind es bei den Mollusken, den Weichtieren. 150 verschiedene Arten davon leben in der Vjosa. Im Laufe der Vjosa-Kampagne wurden von den internationalen Forscher*innen immer wieder neue Insektenarten entdeckt. Arten die man zuvor überhaupt nicht kannte. Auf www.balkanrivers.net findet man viele Informationen dazu. +In vielen Windungen schlängelt sich der Fluss durch Albaniens neu entstehenden Nationalpark. 70 Fischarten sind und bleiben hier heimisch, das sind 30% von denen, die es überhaupt gibt in Europas Süßgewässern. Bei den Mollusken, den Weichtieren sind es sogar 70% Prozent. 150 verschiedene Arten davon leben in der Vjosa. Im Laufe der Vjosa-Kampagne wurden von den internationalen Forscher*innen immer wieder neue Insektenarten entdeckt. Arten die man zuvor überhaupt nicht kannte. Auf www.balkanrivers.net findet man viele Informationen dazu. 
  
-Ich möchte die Vjosa durch meinen Malereifilm „Der Osten des Westens“ fließen lassen. Weil sie ein stolzes Zeichen dafür ist, wie der "Osten des Westens" gemeinsam mit dem "Westen des Westens" etwas Wunderbares erreicht hat.+Ich möchte die Vjosa durch meinen Malerei-Film „Der Osten des Westens“ fließen lassen. Weil sie ein stolzes Zeichen dafür ist, wie der Osten des Westens" gemeinsam mit dem Westen des Westens" etwas Wunderbares erreicht hat.
  
 {{ :logbuch:tirana:2023_albanien_39.jpg?600 |}} {{ :logbuch:tirana:2023_albanien_39.jpg?600 |}}
text/tirana_23.txt · Zuletzt geändert: 2024/06/13 20:05 von admin