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text:tirana_23 [2023/09/26 17:55]
admin [Die Vjosa-Kampagne]
text:tirana_23 [2023/09/26 19:09]
admin [Eine traurige Sehnsucht]
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 //17. September, im Flugzeug// //17. September, im Flugzeug//
  
-Auf dem Weg nach Tirana versuche ich, meine Fragen an diese Reise in mir selbst zu erlauschen. Albanien ist ein kleines Land, das nicht zur EU gehört, aber seit 2014 Beitrittskandidat ist. Am 19. Juli 2022 2022 haben die Beitrittsverhandlungen begonnen. +Auf dem Weg nach Tirana versuche ich, meine Fragen an diese Reise in mir selbst zu erlauschen. Albanien ist ein kleines Land, das nicht zur EU gehört, aber seit 2014 Beitrittskandidat ist. Am 19. Juli 2022 haben die Beitrittsverhandlungen begonnen. 
  
-1991 brach in Albanien eine kommunistische Diktatur zusammen, die 45 Jahre angehalten hatte und zu den extremsten in Europa gehörte, das Regime von Enver Hoxha. 1991 wurde ein traumatisiertes, verarmtes und isoliert-rückständiges Land in eine demokratische Zukunft entlassen. Die Hoxha Zeit war, so denke ich, eine komplette Antithese zu dem, was für mich das Ideal „des Westens“ ausmacht. Ich frage mich, ob ich dieses Ideal hier zu meinem Motiv machen könnte. Zu dem, was ich suche, als Realität oder als Sehnsucht - oder vielleicht auch, was ich nicht finden kann und was in seinem Fehlen deutlich wird. Was ist das Versprechen des „Westens“? Kann es Fuß fassen in einer Gesellschaft, die 1991 fast ausschließlich aus Tätern und Opfern eines brutalen autoritären Systems bestand? Wie vollzog oder vollzieht sich der Wandel von dort hin zur subsidiaren Gesellschaft? Besteht überhaupt die Aussicht dazu? Wie sieht man von Albanien aus den realen, träge-selbstgefälligen Westen? Gibt es hier auch diese bittere Ernüchterung, der ich im Osten des Westens immer wieder begegne? Beginnt man vielleicht, die Alternative zum Westen im Autoritarismus von China, Russland oder der Türkei als das kleinere Übel zur westlichen Heuchelei zu sehen?+1991 brach in Albanien eine kommunistische Diktatur zusammen, die 45 Jahre angehalten hatte und zu den extremsten in Europa gehörte, das Regime von Enver Hoxha. 1991 wurde ein traumatisiertes, verarmtes und isoliert-rückständiges Land in eine demokratische Zukunft entlassen. Die Hoxha Zeit war, so denke ich, eine komplette Antithese zu dem, was für mich das Ideal „des Westens“ ausmacht. Ich frage mich, ob ich dieses Ideal hier zu meinem Motiv machen könnte. Zu dem, was ich suche, als Realität oder als Sehnsucht - oder vielleicht auch, was ich nicht finden kann und was nur in seinem Fehlen deutlich wird. Was ist das Versprechen des „Westens“? Kann es Fuß fassen in einer Gesellschaft, die 1991 fast ausschließlich aus Tätern und Opfern eines brutalen autoritären Systems bestand? Wie vollzog oder vollzieht sich der Wandel von dort hin zur subsidiaren Gesellschaft? Besteht überhaupt die Aussicht dazu? Wie sieht man von Albanien aus den realen, träge-selbstgefälligen Westen? Gibt es hier auch diese bittere Ernüchterung, der ich im Osten des Westens immer wieder begegne? Beginnt man vielleicht, die Alternative zum Westen im Autoritarismus von China, Russland oder der Türkei als das kleinere Übel zur westlichen Heuchelei zu sehen?
  
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-In dem Gespräch der beiden klingt eine Sehnsucht nach dem an, was ich für diese Reise „den Westen“ nennen will. In der Erwartung, dass Menschen, wenn sie diesen Westen gezeigt bekämen und die Chance hätten, dort hin zu gehendas natürlich sofort und freudig tun würden. Die Polin scheint in einem Zustand zermürbender Fassungslosigkeit darüber zu sein, dass ihre Landsleute sich anders verhalten. Als ob sie sich, in einer unverständlichen masochistischen Anwandlung, eine schwer erkämpfte Freiheit selbst wieder nehmen würden.+In dem Gespräch der beiden klingt eine Sehnsucht nach dem an, was ich für diese Reise „den Westen“ nennen will. Und es klingt die Erwartung an, dass Menschen, denen dieser Westen erreichbar vor Augen steht, sofort und freudig dorthin aufbrechen würden.  
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 +Die Polin scheint in einem Zustand zermürbender Fassungslosigkeit darüber zu sein, dass ihre Landsleute sich anders verhalten. Als ob sie sich, in einer unverständlichen masochistischen Anwandlung, eine schwer erkämpfte Freiheit selbst wieder nehmen würden.
  
 Ich erkenne „meinen Westen“ in der Sehnsucht der beiden Frauen. Aber ich habe einen Zweifel. Ich finde das Ideal des „Westes“ umfasst auch ein Verständnis für den menschlichen Wunsch nach Ordnug, Sicherheit und Bewahrung der Traditionen. Für mich, so merke ich, gehört zum „Westen“ nicht nur die unbedingte Freiheit von aller Fremdbestimmtheit, sondern auch der Respekt für das, was für Menschen zu ihrer Identität gehört. Oder besser: auch das ist ein Aspekt der westlichen Freiheit. Ich erkenne „meinen Westen“ in der Sehnsucht der beiden Frauen. Aber ich habe einen Zweifel. Ich finde das Ideal des „Westes“ umfasst auch ein Verständnis für den menschlichen Wunsch nach Ordnug, Sicherheit und Bewahrung der Traditionen. Für mich, so merke ich, gehört zum „Westen“ nicht nur die unbedingte Freiheit von aller Fremdbestimmtheit, sondern auch der Respekt für das, was für Menschen zu ihrer Identität gehört. Oder besser: auch das ist ein Aspekt der westlichen Freiheit.
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 Besar Likmeta von BIRN Albania, einer NGO die sich auf investigative Berichterstattung und Medienbeobachtung spezialisiert hat, breitet zum Abschluss ein düsteres Bild der Realitäten in Albanien vor uns aus. Besar Likmeta von BIRN Albania, einer NGO die sich auf investigative Berichterstattung und Medienbeobachtung spezialisiert hat, breitet zum Abschluss ein düsteres Bild der Realitäten in Albanien vor uns aus.
  
-Zwar gäbe es Gesetze zum Schutz der Pressefreiheit, doch würden sie nicht beachtet. Journalist*innen, die zum Problem werden, verlören ihren Job und eventuell ihre Familien gleich mit. Wirksame Hilfe bekämen sie keine, von keiner Seite, auch nicht den Kolleg*innen oder der Zivilgesellschaft. +Zwar gäbe es Gesetze zum Schutz der Pressefreiheit, doch würden sie nicht beachtet. Journalist*innen, die zum Problem werden, verlören ihren Job und eventuell ihre Familien den ihren gleich mit. Wirksame Hilfe bekämen sie keine, von keiner Seite, auch nicht den Kolleg*innen oder der Zivilgesellschaft. 
  
 Die scheinbar vielfältigen Medien seien in Wirklichkeit bei zwei Oligarchen-Familien monopolisiert. Berichtet wird das, was Geld bringt oder die Interessen der Oligarchen anders unterstützt. Die boomenden Online-Medien seien da, wo sie Bedeutung haben, noch schlimmer. Vielleicht kontrolliere Meta (Facebook und Instagram) in Dublin manche Netzeinträge auf Falschmeldungen und Hatespeach - aber kaum jemand dort spräche Albanisch. Selbst wenn etwas Albanisches gelöscht würde, dauere das viel zu lange. Inhalte aus Trollfabriken dominierten deshalb ungehindert die sozialen Medien in Albanien.  Die scheinbar vielfältigen Medien seien in Wirklichkeit bei zwei Oligarchen-Familien monopolisiert. Berichtet wird das, was Geld bringt oder die Interessen der Oligarchen anders unterstützt. Die boomenden Online-Medien seien da, wo sie Bedeutung haben, noch schlimmer. Vielleicht kontrolliere Meta (Facebook und Instagram) in Dublin manche Netzeinträge auf Falschmeldungen und Hatespeach - aber kaum jemand dort spräche Albanisch. Selbst wenn etwas Albanisches gelöscht würde, dauere das viel zu lange. Inhalte aus Trollfabriken dominierten deshalb ungehindert die sozialen Medien in Albanien. 
  
-Die Öffentlichkeit sei keine freien Medien gewöhnt, im Kommunismus waren die Medien ein reines Propaganda-Instrument. Das seien sie auch heute noch aber aus Unerfahrenheit bemerkten das nur wenige. Zu Beispiel, dass es zu heiklen Themen keine journalistischen Berichte gäbe, sondern nur über alle Plattformen hinweg gleich-lautende PR-Produkte. +Die Öffentlichkeit sei keine freien Medien gewöhnt, im Kommunismus waren die Medien ein reines Propaganda-Instrument. Das seien sie auch heute nochaber aus Unerfahrenheit bemerkten das nur wenige. Zum Beispiel, dass es zu heiklen Themen keine journalistischen Berichte gäbe, sondern nur über alle Plattformen hinweg gleich-lautende PR-Produkte. 
  
 Der Premierminister Rama hat auf einer Pressekonferenz einem Journalisten die Umerziehung angedroht, aber das sei in Albanien kein Skandal, nur ausserhalb. Wenn überhaupt, denn ausländischen Medien interessierten sich nicht für Albanien, weswegen sie auch kein Gegengewicht bilden könnten.  Der Premierminister Rama hat auf einer Pressekonferenz einem Journalisten die Umerziehung angedroht, aber das sei in Albanien kein Skandal, nur ausserhalb. Wenn überhaupt, denn ausländischen Medien interessierten sich nicht für Albanien, weswegen sie auch kein Gegengewicht bilden könnten. 
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 //25. September, Mainz// //25. September, Mainz//
  
-In vielen Windungen schlängelt sich der Fluss durch Albaniens neu entstehenden Nationalpark. 70 Fischarten sind und bleiben hier heimisch, das sind 30% von denen, die es überhaupt gibt in Europas Süßgewässern. 70% Prozent sind es sogar bei den Mollusken, den Weichtieren. 150 verschiedene Arten davon in der Vjosa. Im Laufe der Vjosa-Kampagne wurden von den internationalen Forscher*innen immer wieder Insektenarten entdecktdie man zuvor überhaupt nicht kannte. Auf www.balkanrivers.net findet man viele Informationen dazu. +In vielen Windungen schlängelt sich der Fluss durch Albaniens neu entstehenden Nationalpark. 70 Fischarten sind und bleiben hier heimisch, das sind 30% von denen, die es überhaupt gibt in Europas Süßgewässern. 70% Prozent sogar sind es bei den Mollusken, den Weichtieren. 150 verschiedene Arten davon leben in der Vjosa. Im Laufe der Vjosa-Kampagne wurden von den internationalen Forscher*innen immer wieder neue Insektenarten entdeckt. Arten die man zuvor überhaupt nicht kannte. Auf www.balkanrivers.net findet man viele Informationen dazu. 
  
 Ich möchte die Vjosa durch meinen Malereifilm „Der Osten des Westens“ fließen lassen. Weil sie ein stolzes Zeichen dafür ist, wie der "Osten des Westens" gemeinsam mit dem "Westen des Westens" etwas Wunderbares erreicht hat. Ich möchte die Vjosa durch meinen Malereifilm „Der Osten des Westens“ fließen lassen. Weil sie ein stolzes Zeichen dafür ist, wie der "Osten des Westens" gemeinsam mit dem "Westen des Westens" etwas Wunderbares erreicht hat.
text/tirana_23.txt · Zuletzt geändert: 2024/06/13 20:05 von admin